Kommentar

Die EU macht schon wieder Druck – wenn der Bundesrat nicht bald herausfindet, was er will, wird es ungemütlich

Ohne klaren Plan ist Aussenminister Ignazio Cassis nach Brüssel gereist – die EU hat sich nicht zweimal bitten lassen und ihrerseits gesagt, wo es langgeht. Die Lage ist kritischer, als manche meinen.

Fabian Schäfer, Bern 133 Kommentare
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Will im Januar erste Fortschritte sehen: Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission, der in Brüssel neu für die Beziehungen zum wankelmütigen Nachbarn Schweiz zuständig ist.

Will im Januar erste Fortschritte sehen: Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission, der in Brüssel neu für die Beziehungen zum wankelmütigen Nachbarn Schweiz zuständig ist.

Pool / Reuters

«Wenn vor deinen Augen alles grau ist, musst du den Elefanten zur Seite schieben.» Diesen indischen Spruch hat Aussenminister Ignazio Cassis gern und oft zitiert, nachdem der Bundesrat im Mai mit grossem Knalleffekt die Verhandlungen über den Rahmenvertrag abgebrochen hatte. Ein Schweizer bemüht indische Sprüche, wenn es um Europa geht – schon dies kommt einem spanisch vor.

Und der Elefant, der ist immer noch da. Womöglich hat Cassis bei seinem Besuch in Brüssel am Montag gespürt, wie die graue Wand sich wieder in sein Blickfeld schiebt. All die schwierigen Themen von der dynamischen Rechtsübernahme bis zur Rolle des Europäischen Gerichtshofs, deren souveränitätspolitische Sprengkraft sich nicht auf Dauer hinter der verharmlosenden Bezeichnung als «institutionelle Fragen» verbergen lässt – all diese Themen sind immer noch da.

Dialog? Roadmap!

Brüssel bleibt dabei: Wenn die Schweiz den privilegierten Zugang zum EU-Binnenmarkt erhalten und weiterentwickeln will, den sie heute mit den bilateralen Abkommen hat, braucht es gemeinsame Spielregeln für die Weiterentwicklung und die Auslegung des einschlägigen Rechts. Dies hat der Vizepräsident der EU-Kommission Maros Sefcovic am Montag nach dem Treffen mit Cassis ebenso wortreich wie deutlich festgehalten.

So schnell kann es gehen. Weil der Bundesrat nicht weiss, wie er das Verhältnis zur EU stabilisieren will, reiste der Aussenminister ohne konkrete Vorschläge nach Brüssel. Sefcovic kennenlernen und einen «politischen Dialog» aufgleisen: Das war der «Plan». Die EU liess sich nicht zweimal bitten. Wenn die Schweiz nicht sagt, wo es langgeht, übernimmt Brüssel das gern. Prompt formulierte Sefcovic eine Art Ultimatum: Im Januar will er Fortschritte sehen.

Den «Dialog» deutete er flugs zur «Roadmap» um – die Differenz ist wichtig: Eine Roadmap hat von Anfang an ein klares Ziel. Die EU zeigt sich einerseits freundlich und gesprächsbereit, das ist positiv. Andererseits macht sie jedoch unmissverständlich klar, über welche Themen sie sprechen will. Vom Bundesrat verlangte Sefcovic ein «eindeutiges» politisches Bekenntnis.

Das wäre etwas ganz Neues. Bern verfolgte in den letzten Jahren europapolitisch einen unansehnlichen Schlingerkurs, der vor allem ein Ziel hatte: sich nicht festlegen zu müssen. Dann kam der Abbruch im Mai 2021. Und nun?

Auch die Hinhaltetaktik hat ihren Preis

Das Lavieren geht weiter. Der Bundesrat sagt, er wolle den bilateralen Weg fortsetzen – und lässt offen, wie er mit den Bedingungen der EU umgeht. Man darf gespannt sein, welche Botschaft er Sefcovic im Januar überbringt. In der Pflicht ist nicht nur der Aussenminister, sondern der gesamte Bundesrat. Er muss endlich einen Plan entwickeln – und diesen dann auch verteidigen, auch bei Gegenwind. Wenn er dazu weiterhin nicht in der Lage ist, ist es allemal klüger, der EU reinen Wein einzuschenken, als sich noch einmal vorschnell auf Verhandlungen einzulassen, die dann wieder in einem Fiasko enden.

Allerdings hat auch die gut einstudierte Hinhaltetaktik ihren Preis. Er dürfte höher sein, als breite Kreise im Inland meinen. Die EU-Spitze kann aus dem Verhalten der Schweiz fast nur einen Schluss ziehen: Ohne Druck läuft nichts. Tatsächlich ist die EU bereits eifrig daran, dem Nachbarn das Leben mit unsachlichen Eingriffen schwerzumachen. Beim Strom verhindert sie sogar rein technische Kooperationen, bei der Forschung verweigert sie die volle Einbindung der hiesigen Hochschulen, in der Medtech-Branche erschwert sie den Handel, und auch die Börse wartet immer noch auf die Anerkennung.

Die EU ist bereit, sich selber zu schaden

Mit solchen Schritten schadet die EU nicht nur der Schweiz, sondern auch sich selber. Darüber kann man den Kopf schütteln, aber man sollte es zur Kenntnis nehmen. Die EU spielt mit hohem Einsatz. Der Druck mag kontraproduktiv sein und Abwehrreflexe in der Schweiz verstärken. Auch dieses Risiko scheint Brüssel in Kauf zu nehmen. Das verdeutlicht die Entschlossenheit.

Wenn der Bundesrat nicht in nützlicher Frist neue, pragmatische Ideen präsentiert, kann es schmerzhaft werden. Das Dümmste wäre, wenn die Schweiz später unter grossem Druck nachgeben müsste. Es wäre nicht das erste Mal.

133 Kommentare
Urs Steinegger

Wenn in Deutschland 89% der Gesetze von der EU diktiert werden, dann ist dir Souveranität nicht mehr gewährleistet. Das Auftreten der EU ist unfreundlich und herablassend gegenüber der Schweiz, das kann es nicht sein. Wenn ca. 60'000.- EU-Beamte in Brüssel und Strassbourg Nettozahler suchen, dann sollen sie woanders suchen. Wenn wir genötigt werden in die EU zu gehen ist es nicht Wert diesen Weg zu gehen. Die Kohäsionsmia. zu bezahlen, war bereits ein zu tiefer Hofknicks. Also, lassen wir doch das Getue um die EU ins Leere laufen, auch wenn es etwas kostet.

Christian Schmid

Jedwelche Verhandlungen sind zur Zeit sinnlos, da keine gemeinsame Verhandlungsgrundlage besteht. Und bis im Januar liefern wir gar nichts, nicht einmal eine Antwort auf den neusten, unverschämten Druckversuch. Wir müssen endlich SELBER das Beste aus der Situation machen, es geht vor allem um 3 Bereiche. . 1. Forschung: Einen Fonds einrichten jährlich gespiesen mit dem Geld (gerne auch mehr), das wir bisher an die ineffiziente Horizon-Verwaltung gezahlt haben. Damit Zusammenarbeit und konkrete Projekte anschieben mit Unis aus UK, USA und Asien (also dort wo die wirklich guten Unis sind) . 2. Medtech: Der Bund finanziert eine Agentur in der EU, die den KMU's die ganze Zulassungsbürokratie abnimmt und ggf. alle bisher zugelassenen Produkte neu einreicht. Konzerne haben sowieso eigene Töchter in der EU und brauchen keine Hilfe. . 3. Strom: Sofortiger massiver Ausbau diverser Stauseen für den Winterstrom, den dies bisher verhindernden Fröschlistreichlern endlich Einhalt gebieten bzw diese öffentlich verantwortlich machen für den Blackout. Due EU würde übrigens auch mit Abkommen keinen Strom liefern im Winter, die haben künftig nähmlich künftig selber keinen mehr, Und damit gat es sich dann für die nächsten paar Jahre mit der EU. Wenn dort Vernunft einkehrt können wir gerne wieder verhandeln.